Über Angst und Mut, von Angelika Gerlach

Na? Wovor hast DU Angst?

Vor der Meinung anderer, vor dem Alleinsein oder vor dem Fremden, Unbekannten?

Alle Menschen verfügen naturgemäß über die Fähigkeit, Angst zu empfinden. Angst ist in gefährlichen Situationen ein guter Berater. Sie verhilft uns dazu, blitzschnell zu reagieren. Aus einer Situation zu fliehen oder unser System auf Angriff vorzubereiten. Ohne diese elementare Emotion wären wir heute nicht hier. Hätten unsere Vorfahren nicht überlebt.

In einem gesunden und angemessenen Maße ist Angst also ein guter und überlebensnotwendiger Berater.

Im übertriebenen oder unbegründeten Maße schadet sie jedoch!

Angst kann spalten. Sie spaltet zum Beispiel, wenn sie im luftleeren Raum unserer Gehirnhälften entsteht, ohne tatsächlichen Grund, einfach so.

Einfach so, weil man bestimmte Worte und Sätze anderer Menschen verinnerlicht hat, ihnen Glauben schenkt und sich den dazugehörigen Automatismen hingibt, ohne sie zu hinterfragen.

Einfach so, weil man Bilder im Gedächtnis verankert hat, die einem vorgaukeln, wie die Welt und die Menschen früher waren oder zu sein haben.

Einfach so, weil wir Unbekanntes gern in Schubladen einsortieren, um es beherrschbar, einord- oder greifbarer zu machen, um uns in der Welt scheinbar besser zurecht zu finden.

Viele dieser konstruierten Filter und Glaubenssätze, die uns durch das Leben leiten, sind uns dabei gar nicht richtig bewusst und doch haben sie einen großen Einfluss auf uns und die Kategorisierung unserer

Wahrnehmungen. Sie trennen uns manchmal von anderen Menschen, noch bevor wir die Chance haben, diese richtig kennenzulernen.

Dieses Phänomen kennst du sicher auch: Du begegnest jemandem und ZACK! – ist sie da: Die Schublade, in der du die Person aufgrund desersten Eindrucks einsortierst. Auch dies passiert automatisch und blitzschnell, ohne dass wir es wollen. Unser Grundbedürfnis nach Orientierung und Sicherheit ist sehr stark und richtet unsere Antennen automatisch danach aus.

Problematisch wird das Ganze, wenn diese Grundannahmen nicht weiter überprüft oder hinterfragt werden und in der Schublade verschlossen bleiben. Eine unbewusste Angst vor dem Unbekannten oder scheinbar Andersartigem kann spalten, wenn wir Menschen begegnen, die anders aussehen oder Verhaltensweisen an den Tag legen, denen wir in unserem gewohnten Rahmen bisher noch nicht begegnet sind. Jeder von uns hat bereits – ob laut oder leise, ob aktiv oder passiv – dabei zugesehen, wie eine Gruppe eine einzelne Person aufgrund von vermeintlichen Unterschieden, sicht- oder unsichtbaren Angriffspunkten ausgeschlossen hat, sie nicht für zugehörig befunden hat, sie mit Worten, Gesten und Handlungen seelisch und/oder körperlich verletzt hat. Sich mit der geschlossenen Macht der Gruppe einfach über sie gestellt hat.

Um … Ja, um was eigentlich genau? Warum? Wozu?

Um sich stärker und überlegener zu fühlen!?

Um insgeheim froh zu sein, nicht selbst der oder die Ausgegrenzte sein zu müssen… !?

Was könnte ich dagegen tun?

Was könntest du dagegen tun?

Was könnten wir dagegen tun?

Wir könnten anfangen, nicht immer gleich unserer Angst und unseren Gewohnheiten blind nachzugeben.

Wir könnten anfangen, neue Perspektiven auszuprobieren und etwas

mutiger zu werden.

Mutiger im Schwimmen gegen den Strom einer Gruppe, gegen die

Meinung der Masse.

Mutiger bei Begegnungen mit Menschen, die nicht unserer gewohnten

Prägung entsprechen.

Mutiger beim Stellen von Fragen und Benennen unserer Ängste und Vorbehalte.

Mutiger beim Revidieren des ersten Urteils über eine Person.

Wir könnten uns sogar darin üben, unserem Fühlen und Denken Taten folgen zu lassen, auch wenn es Überwindung kostet und man Gefahr läuft, selbst nicht mehr „dazuzugehören“.

Angst und Mut.

Beides gehört zum Menschen!

Beides gehört zu dir und zu mir!

Aber jeder kann selbst entscheiden, was er daraus macht!

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